Ueber Lerm und Geräusch

Was weiland Arthur Schopenhauer in den Parerga und Paralipomena, 2. Buch, Kapitel 30, Seite 517-519, schrieb, ist heute noch richtig.

Ersetzt man den Kutscher durch den Motorradfahrer, dann stimmts.

Ueber Lerm und Geräusch.

§. 378.

Kant hat eine Abhandlung über die lebendigen Kräfte geschrieben: ich aber möchte eine Nänie und Threnodie über dieselben schreiben; weil ihr so überaus häufiger Gebrauch, im Klopfen, Hämmern und Rammeln, mir mein Leben hindurch, zur täglichen Pein gereicht hat. Allerdings giebt es Leute, ja, recht viele, die hierüber lächeln; weil sie unempfindlich gegen Geräusch sind: es sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden Menschen der Lerm verursacht, in den Biographien, oder sonstigen Berichten persönlicher Aeußerungen fast aller großen Schriftsteller, z.B. Kant's, Göthe's, Jean Paul's; ja, wenn solche bei irgend Einem fehlen sollten, so ist es bloß, weil der Kontext nicht darauf geführt hat. Ich lege mir die Sache so aus: wie ein großer Diamant, in Stücke zerschnitten, an Werth nur noch eben so vielen kleinen gleich kommt; oder wie ein Heer, wenn es zersprengt, d.h. in kleine Haufen aufgelöst ist, nichts mehr vermag; so vermag auch ein großer Geist nicht mehr, als ein gewöhnlicher, sobald er unterbrochen, gestört, zerstreut, abgelenkt wird; weil seine Ueberlegenheit dadurch bedingt ist, daß er alle seine Kräfte, wie ein Hohlspiegel alle seine Strahlen, auf einen Punkt und Gegenstand koncentrirt; und hieran eben verhindert ihn die lermende Unterbrechung. Darum also sind die eminenten Geister stets jeder Störung, Unterbrechung und Ablenkung, vor Allem aber der gewaltsamen durch [518] Lerm, so höchst abhold gewesen; während die übrigen dergleichen nicht sonderlich anficht. Die verständigste und geistreichste aller europäischen Nationen hat sogar die Regel never interrupt, – "du sollst niemals unterbrechen," – das elfte Gebot genannt. Der Lerm aber ist die impertinenteste aller Unterbrechungen, da er sogar unsere eigenen Gedanken unterbricht, ja, zerbricht. Wo jedoch nichts zu unterbrechen ist, da wird er freilich nicht sonderlich empfunden werden. – Bisweilen quält und stört ein mäßiges und stätiges Geräusch mich eine Weile, ehe ich seiner mir deutlich bewußt werde, indem ich es bloß als eine konstante Erschwerung meines Denkens, wie einen Block am Fuße, empfinde, bis ich inne werde, was es sei. –

Nunmehr aber, vom genus auf die species übergehend, habe ich, als den unverantwortlichsten und schändlichsten Lerm, das wahrhaft infernale Peitschenklatschen, in den hallenden Gassen der Städte, zu denunciren. Dieser plötzliche, scharfe, hirnzerschneidende, gedankenmörderische Knall muß von Jedem, der nur irgend etwas, einem Gedanken Aehnliches im Kopfe herumträgt, schmerzlich empfunden werden: jeder solcher Knall muß daher Hunderte in ihrer geistigen Thätigkeit, so niedriger Gattung sie auch immer seyn mag, stören: dem Denker aber fährt er durch seine Meditationen so schmerzlich und verderblich, wie das Richtschwerdt zwischen Kopf und Rumpf. Hiezu nun aber nehme man, daß dieses vermaledeite Peitschenklatschen nicht nur unnöthig, sondern sogar unnütz ist. Die durch dasselbe beabsichtigte psychische Wirkung auf die Pferde nämlich ist durch die Gewohnheit, welche der unabläßige Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgestumpft und bleibt aus: sie beschleunigen ihren Schritt nicht danach; wie besonders an leeren und Kunden suchenden Fiakern, die, im langsamsten Schritte fahrend, unaufhörlich klatschen, zu ersehn ist: die leiseste Berührung mit der Peitsche wirkt mehr. Die Sache stellt demnach sich eben dar als ein frecher Hohn des mit den Armen arbeitenden Theiles der Gesellschaft gegen den mit dem Kopfe arbeitenden. Daß eine solche Infamie in Städten geduldet wird ist eine grobe Barbarei und eine Ungerechtigkeit; um so mehr, als es gar leicht zu beseitigen wäre, durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Peitschenschnur. Es kann nicht schaden, daß man die  Proletarier auf die Kopfarbeit der über ihnen stehenden Klassen aufmerksam mache: denn sie haben vor aller Kopfarbeit eine unbändige Angst. Daß nun aber ein Kerl, der mit ledigen Postpferden, oder auf einem Karrengaul, die engen Gassen einer Stadt durchreitend, mit einer klafterlangen Peitsche aus Leibeskräften unaufhörlich klatscht, nicht verdiene, sogleich abzusitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, Das werden mir alle Philanthropen der Welt, nebst den legislativen, sämmtliche Leibesstrafen, aus guten Gründen, abschaffenden Versammlungen, nicht einreden. Soll denn, bei der so allgemeinen Zärtlichkeit für den Leib und alle seine Befriedigungen, der denkende Geist das Einzige seyn, was nie die geringste Berücksichtigung, noch Schutz, geschweige Respekt erfährt? – Wir wollen hoffen, daß die intelligenteren und feiner fühlenden Nationen auch hierin den Anfang machen und dann, auf dem Wege des Beispiels, die Deutschen ebenfalls dahin werden gebracht werden. Von diesen sagt inzwischen Thomas Hood (up the Rhine) for a musical people, they are the most noisy I ever met with (für eine musikalische Nation, sind sie die lermendeste, welche mir je vorgekommen).

Was nun endlich die Litteratur des in diesem Kapitel abgehandelten Gegenstandes betrifft; so habe ich nur ein Werk, aber ein schönes, zu empfehlen, nämlich eine poetische Epistel in Terzerimen, von dem berühmten Maler Bronzino, betitelt de romori, a Messer Luca Martini: hier wird nämlich die Pein, die man von dem mannigfaltigen Lerm einer italiänischen Stadt auszustehn hat, in tragikomischer Weise, ausführlich und sehr launig geschildert. Man findet diese Epistel S.258. des zweiten Bandes der Opere burlesche del Berni, Aretino ed altri, angeblich erschienen in Utrecht, 1771.