Schlagwort: Zwangsbeschallung

Der Belästigung hilflos ausgeliefert

August Schick ist Psychologie- Professor an der Universität Oldenburg und seit 28 Jahren in der Lärmforschung tätig. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über vibrierende Deutsche, in der Lärmlast vereinte Europäer und Kinder, die sich nur noch per Kopfhörer vor Krach schützen können.

Der Mensch hat sicherlich die Fähigkeit, sich subjektiv an Geräusche zu gewöhnen. Bestimmte körperliche Funktionen assimilieren allerdings nicht. Nehmen sie den Schlaf: Auch unter großer Lärmbelastung schlafen die Betroffenen, aber sie schlafen generell leichter und schlechter, nehmen das jedoch irgendwann nicht mehr wahr. Ich vermute, dass eine chronische Belastung im Allgemeinen schlimmer ist. Viele Anwohner des Frankfurter Flughafens haben Einschlafschwierigkeiten, weil jede Viertelstunde ein Flugzeug über sie hinwegdonnert. Diese Menschen fühlen sich zudem der Belästigung hilflos ausgeliefert, das raubt auch langfristig eine Menge Energie.

das ganze Interview ist auf Spiegel Online , 2003
Homepage von Prof. Dr. August Schick

Lärm, Lärm, Lärm

Ich leide immer stärker unter Lärm, es ist aber nicht nur der ‚unvermeidliche‘, betriebsbedingte Lärm, der mich trifft, vielmehr verletzt mich der Lärm aus Gedankenlosigkeit und Abstumpfung…

Weist man jemanden auf den durch ihn verursachten Lärm hin, antwortet er sofort:

  • aber die anderen sind auch laut
  • xyz ist auch laut

es wird nicht unterschieden zwischen betriebsbedingtem Lärm und unnötigem Lärm

  • muß man es so machen wie die Anderen?
  • niemand äußert sich über sich selbst, verweist nur auf Andere
  • daß Lärm Umweltverschmutzung ist, wird kollektiv geleugnet

Und die oft genannten Ansprechpartner erweisen sich als überaus inkompetent (beispielsweise die Person am Lärmtelefon der Freien und Hansestadt Hamburg, mit der ich sprach)

oder sie antworten einfach nicht, beispielsweise der Umweltschutzbeauftragte des Hotel- und Gaststättenverbandes Berlin oder war es der Umweltarbeitskreis?

Das Jahr 2002

wird ein Jahr werden, in welchem die Besucherzahlen hochschnellen, sagt der stellvertretende Direktor des Kunstmuseums Bonn, Christoph Schreier. Schon deshalb, weil das Bonner Institut verstärkt Klassiker wie Max Ernst, Paul Klee, Ernst Wilhelm Nay oder August Macke und die frühe Moderne in Europa präsentieren will. Nichts gegen die Klassiker, nichts gegen steigende Besucherzahlen, wir wünschen den Bonnern wahrlich viel Glück.

So weit, so gut. Darüber hinaus kündigt das Kunstmuseum für 2003 an, dass Künstler und Komponisten in dem vom der EU finanzierten Projekt Listen für die musikalische Begleitung des Besuchers durch die Ausstellungen sorgen werden. Dafür werden Sendegeräte in den Wänden installiert, und die Besucher bekommen die entsprechenden Kopfhörer. Zu jedem Bild soll das passende Geräusch erzeugt werden. Also Meeresrauschen zu Turner oder gleich La Mer; von Debussy, Preußens Gloria zu Anton von Werner, oder wie, oder was?! Zu Schiele, Klimt und anderen Wiener Sezessionisten selbstverständlich Mahler, zum deutschen Expressionismus nicht nur Ostseegeräusche, zu Otto Muellers nackten Badenden würde doch der eine oder andere Juchzer passen, sondern auch alles, was zwischen Schönberg und Hindemith möglich ist.

Soll das allen Ernstes so gemeint sein? Sind wir alle nicht schon genug belästigt, ja, genotzüchtigt mit der Allgegenwart reproduzierter Musikkonserven, dem ewigen Dudelsound über Fleisch- und Whiskytheken, dem Gesäusel in Spielwaren- und Textilabteilungen, in denen man kaum eine Hose anprobieren kann, ohne sich als Rieselfeld jenes Odels zu fühlen, den manche für Musik halten? Selbst U-Bahnhöfe sind nicht mehr sicher vor Heiterem Erwachen auf dem Lande aus den Lautsprechern, Beethoven kann sich nicht mehr wehren. Gewiss, niemand muss vor den Bildern zum Kopfhörer greifen, es sei doch nur ein zusätzliches Angebot. So billig waren die Ideen zur Synästhesie, zum Zusammenspiel der Wahrnehmungskünste nicht gemeint. Wollen hoffen, dass es auch in Bonn nicht so zu verstehen ist.

Dieser verzweifelte Text stammt aus der Süddeutschen Zeitung vom 23. November 2001