Schlagwort: Medizin

Selbstschutz? Tatsächlich?

 

Da berichtet der STERN   über eine Studie, die herausgefunden haben will,

  • daß die Ohren bei Lärm die Empfindlichkeit drosseln,
  • daß Signale von Nervenzellen an Haarzellen im Innenohr weitergeleitet werden und dass man dies manipulieren könne, sodaß weniger aktive Haarzellen das Ohr schützen
  • daß ein Protein für diese Desensibilisierung der Haarzellen zuständig sei
  • daß man nun also nach Medikamenten suchen könne, die diese Haarzellen, welche Schallwellen in elektrische Impulse umwandeln, "lahmlegen"

Wird da nicht wieder einmal das Pferd von hinten aufgezäumt?

Wie krank ist diese Denkweise?

Da wird zum Einen suggeriert, daß das Ohr sich wirklich selbst schützen könne UND daß man, wenn doch nicht, mit ein wenig Medizin nachhelfen könne.
Mixt man den jungen Leuten halt ein wenig Pulver ins Extasy-Gemisch, bevor sie in die Disko gehen und Baustellen-Anwohnern verteilt man die "Hörschutz-Pille" vom Bauamt..

Dieser angebliche Schutzmechanismus des Ohres ist ja nun bewiesenermaßen nicht ausreichend.
Wo kommen sonst die vielen Hörschäden bei Jugendlichen her?

Wenn man das ganze Ohr lahmlegt, hören die jungen Leute nach dem Disco-Besuch auch den Crash nicht mehr, wenn sie gegen den Baum fahren….

Wird da nicht wieder an den Symptomen herumgedoktert statt sich der Ursache zu stellen?

Mit einer solchen Argumentation hat man immer schon drängende Probleme heruntergeredet.
Sollen sich doch die Opfer schützen.
Bekanntlich wollte man ja auch schon die Zahl der Vergewaltigungen reduzieren, indem man den Frauen das Ausgehen verbot…

PS: Das Bild, welches zur Illustration herangezogen wurde, sieht mir verdächtig nach Barack Obamas Ohr aus, das kommt davon, wenn man Volontäre an die Bilddatenbank läßt….
 

Mediziner raten zu Schallpegelbegrenzern

titelte der Deutschlandfunk die Sendung Vom MP3-Player zum Hörgerät

Jeder zehnte Nutzer zieht sich einen bleibenden Hörschaden zu. Wird berichtet. Ist das nicht erschreckend?

Mir wird immer ein Rätsel bleiben, weshalb die Nutzer so aggressiv ihren Sound-Konsum verteidigen, wo sie doch eigentlich schon hör-eingeschränkt sind oder wirklich fast nichts mehr hören?

Es wird Hoffnung geweckt in diesem Artikel:
Schallpegelbegrenzer sind zurzeit die beste Vorsorge, sagt Zenner. Die Musik wird dann immer noch als sehr laut wahrgenommen, der technisch limitierte Hörgenuss sei aber wesentlich weniger riskant. Wenn der Schaden bereits eingetreten ist, gibt es mittlerweile auch Möglichkeiten, etwas zu reparieren. Die regenerative Medizin soll Mittel und Wege finden, …
denn bis dato ging man davon aus, daß ein geschädigtes Ohr nicht mehr hergestellt werden könne

nun wünschte ich mir aber, diese Bemühungen gingen in die Richtung, dass sich die User von ihren Strippen abnabelten als dass man sie damit vertröstete "wird alles wieder gut, die WIssenschaft macht das schon"

die Sendung im Deutschlandfunk

Der Artikel als MP3-Datei beim Deutschlandfunk oder als Flash-Datei

ist Robbie Williams das wert? Kaputte Ohren?
Ich denke nicht..

Schade ist nur, daß dann so ein Artikel unter dem Titel "MP3 macht noch keine Hörschaden" läuft, da liefert man ja gerade denen wieder Argumente, gegen die man eigentlich etwas ausrichten möchte

Biologie der Stille

heißt ein Aufsatz des Professors für Biochemie, Gottfried Schatz, veröffentlicht in der NZZ.
Ich möchte gerne daraus zitieren.


Die Haarzellen unseres Gehörs sind hochverletzlich. Werden sie zu stark oder zu lange beschallt, sterben sie und wachsen nie mehr nach. Für die Entwicklung unserer menschlichen Spezies waren empfindliche Ohren offenbar wichtiger als robuste, denn mit Ausnahme von Donner, Wirbelstürmen und Wasserfällen sind extrem laute Geräusche eine «Errungenschaft» unserer technischen Zivilisation. Rockkonzerte, Düsenmotoren, Discos und Presslufthämmer bescheren uns immer mehr hörgeschädigte Menschen, die überlaute Musik bevorzugen und damit auch ihre Mitmenschen gefährden. Selbst ohne hohe Schallbelastung verliert unser Ohr mit dem Alter unweigerlich Haarzellen, vor allem solche für hohe Töne. Die meisten älteren Menschen können deshalb Töne, die schneller als achttausendmal pro Sekunde schwingen, nicht mehr hören. Im Allgemeinen ist dies kein Problem, doch für Konzertgeiger, die schnell schwingende Obertöne hören müssen, um in hohen Lagen rein zu intonieren, kann es das Ende der Karriere bedeuten. Schwerhörigkeit und Taubheit sind für unsere Gesellschaft ein viel gewichtigeres und teureres Problem als Blindheit.

Ständiger Lärm beschleunigt die Alterung des Herzens

Zu laute Geräusche können krank machen

Schon der Philosoph Arthur Schopenhauer beklagte sich über den unnötigen Lärm, der niemanden so recht zur Besinnung kommen lasse. Und der Arzt Robert Koch meinte: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.“

Autos, Flugzeuge und Eisenbahnen, Rasenmäher, Preßlufthammer und laute Musik , Lärm ist nahezu überall, und seine Gefahren für die Gesundheit werden oft unterschätzt. Der heutige internationale Tag für die Ruhe (Noise-Awareness-Day) soll auf Probleme durch Lärm und Möglichkeiten der Lärmminderung aufmerksam machen.

In Europa sind 80 Millionen Menschen rund um die Uhr Verkehrslärm ausgesetzt. Rund 80 Prozent der Deutschen fühlen sich durch Verkehrslärm gestört. „Die Nachtruhe ist dabei für die Gesundheit besonders wichtig“, sagt Hartmut Ising vom Umweltbundesamt in Berlin. Verkehrslärm in der Nacht sei daher in seiner Wirkung noch schädlicher als am Tag. „Lärm beschleunigt die Alterung des Herzens“, so Ising. Studien hätten gezeigt, daß Verkehrslärm das Risiko für einen Herzinfarkt um zehn Prozent erhöhe. Und ohne den Lärm am Arbeitsplatz gebe es in Deutschland 16 Prozent weniger Herzinfarkte. Lärm sei damit nach dem Rauchen der zweitgrößte Risikofaktor, erklärt Ising.

Mehr als fünf Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sind gesundheitsschädlichen Lärmpegeln ausgesetzt. Hohe Schallpegel können die feinen Sinneshärchen im Ohr irreparabel zerstören. Lärmschwerhörigkeit ist mit einem Anteil von rund 30 Prozent eine der häufigsten Berufskrankheiten. Allein für entsprechende Berufsunfähigkeitsrenten entstehen jährlich Kosten in Höhe von 350 Millionen Mark.

Rund 13 bis 14 Millionen Hörgeschädigte gibt es in Deutschland, erklärt Brigitte Schulte-Fortkamp, Akustikforscherin an der Universität Oldenburg. Und der Berliner Audiologe Hartmut Berndt warnt: „Ein Drittel aller Jugendlichen wird im Alter von 50 Jahren ein Hörgerät benötigen.“ Ursache dafür sei vor allem die laute Musik auf Rockkonzerten und in Diskotheken. Lutger Visse vom Deutschen Arbeitsring für Lärmbekämpfung (DAL) in Düsseldorf fordert die Menschen daher auf, lärmbewußter zu leben und mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen.

Allerdings ist die physikalisch meßbare Stärke von Lärm noch kein Maß für das subjektive Gefühl der Belästigung. Bei Tätigkeiten, für die Ruhe notwendig ist, kann schon das Tropfen eines Wasserhahns stören. Lärm, der mit einer sinnvollen Tätigkeit verbunden ist, wird eher akzeptiert als unnötiger Krach. Beim Lärmschutz sei wichtig, daß die Bevölkerung vom Nutzen der Maßnahmen überzeugt sei, sagt Rainer Guski, Professor für Psychologie an der Universität Bochum. Sonst werde Lärmminderung gar nicht wahrgenommen.

In völliger Stille fühle sich der Mensch aber auch nicht wohl, so Guski. „Der Mensch braucht Geräusche, um sich in seiner Umwelt orientieren zu können.“

© DIE WELT, 21.4.1999