Kategorie: Über Lärm

Franz Kafka: Großer Lärm

Großer Lärm

Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich. Der Vater durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche gekratzt, Valli fragt, durch das Vorzimmer Wort für Wort rufend, ob des VVaters Hut schon geputzt ist, ein Zischen, das mir befreundet sein will, erhebt noch das Geschrei einer antwortenden Stimme. Die Wohnungstüre wird aufgeklinkt und lärmt, wie aus katarralischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem Singen einer Frauenstimme und schließt sich endlich mit einem dumpfen, männlichen Ruck, der sich am rücksichtslosesten anhört. Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. Schon früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fällt es mir von neuem ein, ob ich nicht die Türe bis zu einer kleinen Spalte öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine Schwestern und ihr Fräulein um Ruhe bitten sollte.

Franz Kafka: Großer Lärm, 1912

Unser täglich Lärm – bei arte

Unser täglich Lärm – Lärm macht kaputt

Das sind zwei Sendungen, die arte heute zur besten Sendezeit ausstrahlt.

Wie gut, daß das Thema mal auf den Tisch kommt.

Man ist ständig von Lärm umgeben, ohne es zu merken. Warum auch? Man ist ihn ja gewöhnt. Irrtum, sagt die Wissenschaft. Der Körper kann sich nicht an Lärm gewöhnen. Der unterhaltsame Film von Dorothee Kaden macht unseren täglichen Lärm zwischen Vergnügen und Gefährdung hörbar. Sie begleitet zwei Familien und zeigt, wie sie sich täglich Lärm aussetzen und ihn selbst produzieren.

 Die Sendungen: 

Unser täglich Lärm

Lärm macht kaputt

 

 

nach längerer Pause oder soll ich…

schreiben, nach längerer Stille hier im Blog?

20070329-travelfit01_midNun, ich muss nicht mehr so oft mit dem Zug fahren, mit dem Bus oder dem Flieger, wohne in einer ruhigen Gegend nahe der Küste und nicht mehr in der Großstadt, aber: Das Lärm-Thema ist für mich immer noch aktuell, mir immer noch bewußt.

Denn ich genieße die Stille, freue mich wenn ich statt Verkehrslärm frühlingstrunkene Vögel zwitschen höre und ich wahrnehmen kann, wie der Specht im Wald klopft oder der Kuckuck ruft,

Ich habe es jetzt besser., Die Aufgabe der Arbeit und der Wohnortwechsel – das ist ein Luxus, den ich mir leisten konnte,bin ja nun über 60 und brauche die Stadt nicht mehr.
Trotzdem: Lärm macht krank. Das kann man nicht oft genug deutlich machen.

Und da weise ich doch gerne auf den Artikel im Spiegel hin: Stress durch Lärm – Stille ist Luxus. Erstaunlich allerdings, daß es solche Artikel beim Spiegel noch gibt, wo doch sonst deren Kriegsgeschrei alles übertönt…

Ueber Lerm und Geräusch

Was weiland Arthur Schopenhauer in den Parerga und Paralipomena, 2. Buch, Kapitel 30, Seite 517-519, schrieb, ist heute noch richtig.

Ersetzt man den Kutscher durch den Motorradfahrer, dann stimmts.

Ueber Lerm und Geräusch.

§. 378.

Kant hat eine Abhandlung über die lebendigen Kräfte geschrieben: ich aber möchte eine Nänie und Threnodie über dieselben schreiben; weil ihr so überaus häufiger Gebrauch, im Klopfen, Hämmern und Rammeln, mir mein Leben hindurch, zur täglichen Pein gereicht hat. Allerdings giebt es Leute, ja, recht viele, die hierüber lächeln; weil sie unempfindlich gegen Geräusch sind: es sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden Menschen der Lerm verursacht, in den Biographien, oder sonstigen Berichten persönlicher Aeußerungen fast aller großen Schriftsteller, z.B. Kant's, Göthe's, Jean Paul's; ja, wenn solche bei irgend Einem fehlen sollten, so ist es bloß, weil der Kontext nicht darauf geführt hat. Ich lege mir die Sache so aus: wie ein großer Diamant, in Stücke zerschnitten, an Werth nur noch eben so vielen kleinen gleich kommt; oder wie ein Heer, wenn es zersprengt, d.h. in kleine Haufen aufgelöst ist, nichts mehr vermag; so vermag auch ein großer Geist nicht mehr, als ein gewöhnlicher, sobald er unterbrochen, gestört, zerstreut, abgelenkt wird; weil seine Ueberlegenheit dadurch bedingt ist, daß er alle seine Kräfte, wie ein Hohlspiegel alle seine Strahlen, auf einen Punkt und Gegenstand koncentrirt; und hieran eben verhindert ihn die lermende Unterbrechung. Darum also sind die eminenten Geister stets jeder Störung, Unterbrechung und Ablenkung, vor Allem aber der gewaltsamen durch [518] Lerm, so höchst abhold gewesen; während die übrigen dergleichen nicht sonderlich anficht. Die verständigste und geistreichste aller europäischen Nationen hat sogar die Regel never interrupt, – "du sollst niemals unterbrechen," – das elfte Gebot genannt. Der Lerm aber ist die impertinenteste aller Unterbrechungen, da er sogar unsere eigenen Gedanken unterbricht, ja, zerbricht. Wo jedoch nichts zu unterbrechen ist, da wird er freilich nicht sonderlich empfunden werden. – Bisweilen quält und stört ein mäßiges und stätiges Geräusch mich eine Weile, ehe ich seiner mir deutlich bewußt werde, indem ich es bloß als eine konstante Erschwerung meines Denkens, wie einen Block am Fuße, empfinde, bis ich inne werde, was es sei. –

Nunmehr aber, vom genus auf die species übergehend, habe ich, als den unverantwortlichsten und schändlichsten Lerm, das wahrhaft infernale Peitschenklatschen, in den hallenden Gassen der Städte, zu denunciren. Dieser plötzliche, scharfe, hirnzerschneidende, gedankenmörderische Knall muß von Jedem, der nur irgend etwas, einem Gedanken Aehnliches im Kopfe herumträgt, schmerzlich empfunden werden: jeder solcher Knall muß daher Hunderte in ihrer geistigen Thätigkeit, so niedriger Gattung sie auch immer seyn mag, stören: dem Denker aber fährt er durch seine Meditationen so schmerzlich und verderblich, wie das Richtschwerdt zwischen Kopf und Rumpf. Hiezu nun aber nehme man, daß dieses vermaledeite Peitschenklatschen nicht nur unnöthig, sondern sogar unnütz ist. Die durch dasselbe beabsichtigte psychische Wirkung auf die Pferde nämlich ist durch die Gewohnheit, welche der unabläßige Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgestumpft und bleibt aus: sie beschleunigen ihren Schritt nicht danach; wie besonders an leeren und Kunden suchenden Fiakern, die, im langsamsten Schritte fahrend, unaufhörlich klatschen, zu ersehn ist: die leiseste Berührung mit der Peitsche wirkt mehr. Die Sache stellt demnach sich eben dar als ein frecher Hohn des mit den Armen arbeitenden Theiles der Gesellschaft gegen den mit dem Kopfe arbeitenden. Daß eine solche Infamie in Städten geduldet wird ist eine grobe Barbarei und eine Ungerechtigkeit; um so mehr, als es gar leicht zu beseitigen wäre, durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Peitschenschnur. Es kann nicht schaden, daß man die  Proletarier auf die Kopfarbeit der über ihnen stehenden Klassen aufmerksam mache: denn sie haben vor aller Kopfarbeit eine unbändige Angst. Daß nun aber ein Kerl, der mit ledigen Postpferden, oder auf einem Karrengaul, die engen Gassen einer Stadt durchreitend, mit einer klafterlangen Peitsche aus Leibeskräften unaufhörlich klatscht, nicht verdiene, sogleich abzusitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, Das werden mir alle Philanthropen der Welt, nebst den legislativen, sämmtliche Leibesstrafen, aus guten Gründen, abschaffenden Versammlungen, nicht einreden. Soll denn, bei der so allgemeinen Zärtlichkeit für den Leib und alle seine Befriedigungen, der denkende Geist das Einzige seyn, was nie die geringste Berücksichtigung, noch Schutz, geschweige Respekt erfährt? – Wir wollen hoffen, daß die intelligenteren und feiner fühlenden Nationen auch hierin den Anfang machen und dann, auf dem Wege des Beispiels, die Deutschen ebenfalls dahin werden gebracht werden. Von diesen sagt inzwischen Thomas Hood (up the Rhine) for a musical people, they are the most noisy I ever met with (für eine musikalische Nation, sind sie die lermendeste, welche mir je vorgekommen).

Was nun endlich die Litteratur des in diesem Kapitel abgehandelten Gegenstandes betrifft; so habe ich nur ein Werk, aber ein schönes, zu empfehlen, nämlich eine poetische Epistel in Terzerimen, von dem berühmten Maler Bronzino, betitelt de romori, a Messer Luca Martini: hier wird nämlich die Pein, die man von dem mannigfaltigen Lerm einer italiänischen Stadt auszustehn hat, in tragikomischer Weise, ausführlich und sehr launig geschildert. Man findet diese Epistel S.258. des zweiten Bandes der Opere burlesche del Berni, Aretino ed altri, angeblich erschienen in Utrecht, 1771.

offshore – Todeszone

Bloß weil es soweit draußen ist und wir es vom Lande aus nicht hören, heißt es nicht, daß im Meere Ruhe herrscht.

Der Mensch stört die Ruhe gewaltig, und bringt der Tierwelt den Tod.

Nun mögen Ignoranten meinen, was ginge sie das akustische Trauma eines Tintenfisches an, aber es geht uns was an. Es wird sich rächen.

Mit Plastikmüll verschmutzen wir, mit Motoren- und Rotor-Lärm verstören wir, was dem Kleinsten geschieht, geschieht auch uns.

Viele menschliche Aktivitäten im Meer – wie etwa Bohrungen oder Frachtschifftransporte – produzieren intensive Geräusche im niedrigen Frequenzbereich. Die Arbeit von André und seinen Kollegen gibt nun Hinweise darauf, dass die Auswirkungen sehr viel mehr Lebewesen treffen und damit um einiges weitreichender und gravierender sind als befürchtet.

so Michel André von der Universitat Politècnica de Catalunya in Barcelona.

Weitere Informationen beim Projekt "Listening to the Deep Ocean Environment".